Die LIPO fordert im Sinne und im Interesse der Versicherten bzw. Patienten, die freie Arztwahl im Lande wieder einzuführen.
Was heisst freie Arztwahl
In der Schweiz hat jeder Versicherte/Patient innerhalb des Landes die freie Arztwahl. Das bedeutet, dass jeder Versicherte jeden Arzt im Land konsultieren kann; er braucht dafür keine Zusatzversicherung. Jede Krankenkasse muss mit jedem Arzt, sofern dieser eine Zulassung zur Berufsausübung der zuständigen Behörde hat, einen Vertrag abschliessen (Kontrahierungszwang), sodass die Leistungen für jeden Versicherten gedeckt sind.
In Liechtenstein wurde mit der Einführung der Bedarfsplanung die freie Arztwahl aufgehoben. Jeder Arzt muss, wie in der Schweiz, eine Bewilligung zur Berufsausübung von der zuständigen Behörde (Amt für Gesundheit) haben, Die Krankenkassen müssen nun aber nicht mit jedem Arzt einen Vertrag (den sogenannten OKP-Vertrag) abschliessen, sondern nur mit jenen, die in die Bedarfsplanung aufgenommen werden.
Das bedeutet aber gleichzeitig, dass auch der Versicherte/Patient nicht alle Ärzte konsultieren kann, sondern nur jene, die einen OKP-Vertrag mit der Kasse haben. Will er einen Arzt konsultieren, der zwar eine Bewilligung zur Berufsausübung, aber keinen Vertrag mit den Kassen hat, muss er entweder die Leistung aus eigener Tasche (Selbstzahler) berappen oder seinerseits mit der Kasse eine Zusatzversicherung (OKP-plus) abschliessen.
Warum fordert die LIPO die Wiedereinführung der freien Arztwahl
Wie sich gezeigt hat, birgt die Verknüpfung der OKP-Zulassung der Ärzte mit der Wahlmöglichkeit der Versicherten/Patienten für letztere massive Risiken. Der Versicherte hat in Liechtenstein einen Vertrag mit seiner Krankenkasse (und nicht mit dem Leistungserbringer) und zahlt dort Prämien. Wenn er keine OKP-plus Versicherung abschliessen kann oder will (das ist immerhin der Grossteil der Versicherten) kann er nur Ärzte konsultieren, die einen OKP-Vertrag haben. Wer nun einen OKP-Vertrag bekommt, behält oder selber abgibt (es kann schliesslich auch niemand gezwungen werden, seinen OKP-Vertrag zu behalten), liegt völlig ausserhalb der Einflusssphäre des Versicherten selber. Massnahmen gegen Ärzte im Bereich der Bedarfsplanung haben unweigerlich auch immer Konsequenzen für den Versicherten. Bei grundsätzlich freier Arztwahl wie in der Schweiz, ist die Wahlmöglichkeit des Versicherten nicht davon abhängig, ob der Arzt einen OKP-Vertrag hat oder nicht. Mit anderen Worten, die Schweiz kennt unser System der Bedarfsplanung nicht. Trotzdem sind nötigenfalls Sanktionen gegen Ärzte möglich, ohne dass aber per se auch gleichzeitig der Versicherte davon betroffen wäre.
Es hat sich zudem die letzten Jahregezeigt, dass in den umliegenden Ländern – politisch gewollt – zu wenig Ärzte ausgebildet wurden. Gerade bei Spitalärzten treten bspw. in der Schweiz in vielen Fachbereichen bereits heute Engpässe auf. In der Folge erfahren die verfügbaren Spitalärzte eine hohe Wertschätzung und Verbesserung ihrer Arbeits- und Einkommensbedingungen, die Neigung, eine eigene Praxis zu eröffnen, nimmt ab und es beginnt sich so ein Ärztemangel auch bei den niedergelassenen Ärzten bemerkbar zu machen (diverse benachbarte Gemeinden im Kanton St.Gallen bieten Ärzten, Hausärzten, Internisten etc. bereits an, ihnen die Praxis zu stellen).
Die Bedarfsplanung in Liechtenstein bildet eine zusätzliche Hürde für künftige ( junge) Ärzte.
Wie die Gesundheitsversorgungsstatistik 2016 ( Seite 15) ausweist, sind rund die Hälfte unserer Ärzte bereits dem Alterssegment 55+ zuzurechnen. Das betrifft auch die Ärzte ohne OKP-Vertrag, sodass nicht mit einer ja vorhandenen und genügend langen Warteliste argumentiert werden kann. Sie sind heute Bestandteil unserer Versorgung und werden wie ihre Kollegen mit OKP-Vertrag zu einem grossen Teil altershalber ebenfalls in den nächsten 5-10 Jahren ausscheiden.
Auch bei Betrachtung der Kostenfrage sprechen Zahlen und Fakten eine klare Sprache: die Wachstumsrate der Gesamtbruttokosten hat in den letzten Jahren abgenommen, ebenso wie die Steigerungsrate im Kostensektor Arzt ambulant, letztere liegen deutlich unter den Steigerungsraten der Gesamtbruttokosten. Die Gesamtkosten im ambulanten Sektor (Arzt ambulant, Spital ambulant) sind in Liechtenstein nicht wesentlich höher als in der Schweiz und selbst gegenüber SG nur rund 10% höher. Das lässt darauf schliessen, dass es dort, wo die ambulante ärztliche Versorgung weniger gut aufgestellt ist, zu Verschiebungen ins Spitalambulatorium bzw. in den ambulanten Spitalbereich kommt.
Schlussfolgerung: In der heutigen Situation empfiehlt es sich, die Bedarfsplanung ersatzlos zu streichen und dem Versicherten in Liechtensteins die freie Arztwahl zurückzugeben!
HISTORIE
Warum wurde die freie Arztwahl seinerzeit abgeschafft:
Im Zuge des EWR-Beitrittes 1995 musste Liechtenstein aufgrund der vertraglich eingegangenen Verpflichtungen (Grundfreiheiten: Freier Personen-,Kapital-,Waren- und Dienstleistungsverkehr ) allen aus dem EU/EWR-Raum stammenden Ärzten und anderen Leistungserbringern die Berufsausübung in Liechtenstein gestatten. Den Bedenken der Ärzteschaft (damals noch des Ärztevereins; die Ärztekammer wurde erst später per Gesetz eingeführt mit Zwangsmitgliedschaft jedes Arztes), dass dies zu einem Zustrom von Leistungserbringern und einem Kostenschub führen werde und man deshalb, wie bei der Personenfreizügigkeit geschehen, eine Sonderlösung aushandeln müsse, wurde von politischer Seite völlig ignoriert und auch die Wirtschaftskreise kümmerte das wenig. Prominente Vertreter der Politik drückten das so aus: Konkurrenz belebt das Geschäft. Ob solche Verhandlungen Erfolg gehabt hätten, ist schwer zu sagen, da ja nicht einmal der Versuch unternommen wurde.
In der Folge kam es dann auch zu einer relativ hohen Zuwanderung insbesondere von Ärzten (und auch Zahnärzten).Die Verantwortung dafür liegt jedoch nicht bei den Ärzten, sondern bei der Politik.
Konfrontiert mit wachsenden Zustrom und Kosten sah sich die damalige Regierung veranlasst, diesen Zustrom (vor allem Vorarlberger Ärzte konnten nicht davon abgehalten werden, in Liechtenstein eine Zweitpraxis zu eröffnen, da die single rule Regelung von der ESA als nicht EWR-konform eingestuft und damit hinfällig wurde) EWR-konform zu regulieren und versuchte das mit der Einführung des Hausarztmodells im Jahre 2000.
Durch verschiedene Anreize, wie
- eine mindestens 10%ige Prämiensenkung,
- die Befreiung der Kinder von 0-16 Jahren von Prämien
- Befreiung von Chronisch Kranken und Kindern von der Kostenbeteiligung und
- Einführung des Prämienverbilligungsmodells
waren schliesslich rund 75% im Hausarztmodell versichert. und jedem war klar, dass er damit die freie Arztwahl aufgab.
Mit Regierungswechsel im Jahr 2003 wurde das Hausarztmodell aus politischen Gründen, angeblich wegen der ausufernden Kosten, abgeschafft, was statistisch nicht belegt werden kann.
Zunächst wurde versucht, über einen Zulassungsstopp von Ärzten eine weitere Zuwanderung zu verhindern. In Tat und Wahrheit konnte dieser Stopp aber faktisch nur 1 Jahr aufrecht erhalten und die Kosten mitnichten gebremst werden.
Daraufhin wurde die heutige sogenannte Bedarfsplanung als EWR-konformes Mittel zur Einschränkung des Zuzugs von Ärzten eingeführt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes soll damit eine Unter- aber auch Überversorgung mit Ärzten (und anderen Leistungserbringern) vermieden werden. Es erfolgte bei der Einführung keine Planung des Bedarfs, sondern allen damals im Land niedergelassenen Ärzten wurde im Sinne der Besitzstandwahrung ein OKP-Vertrag erteilt, auch denen, die aufgrund des Zulassungsstopps bereits auf der Warteliste standen. Gleichzeitig wurden die Anreize, die für die Wahl des Hausarztsystems geboten worden waren (Prämienermässigung, Prämienbefreiung der Kinder von 0-16 Jahren, Befreiung von Chronisch Kranken und Kindern von der Kostenbeteiligung, Prämienverbilligung) nun für alle Versicherten beibehalten.
Die Kassen wurden vom Kontrahierungszwang (d.h., die Kassen müssen nun nichtmehr mit jedem Arzt einen Vertrag abschliessen) befreit. Für den Versicherten/Patienten bedeutete das aber die Aufhebung der freien Arztwahl ! Da ja alle im Lande ansässigen Ärzte einen OKP-Vertrag hatten, war dies für den Versicherten bzw. Patienten zunächst auch nicht spürbar bzw. mit Konsequenzen verbunden, da er ja auch ohne Zusatzversicherung alle Ärzte im Land aufsuchen konnte.
Das grosse Plus des damaligen Hausarztmodells, nämlich die Koordinationsfunktion, die sich neben ihrer Wirkung zur Kostenkontrolle bzw. -senkung vor allem positiv auf die Patientensicherheit ausgewirkt hätte, fehlt dem heutigen Modell der Bedarfsplanung ganz.
In der Schweiz gibt es diesen Kontrahierungszwang noch immer. Fall weise wird mittels Ärztestopp die Eröffnung neuer Arztpraxen, insbesondere Spezialarztpraxen, verhindert. Der Versicherte ist dadurch aber in keiner Weise in seiner Arztwahl bei den bestehenden Ärzten eingeschränkt, das heisst, die Versicherten haben innerhalb der Schweiz freie Arztwahl (ausser sie sind in einem HMO-Modell versichert).
Im weiteren wurden die Liechtensteiner Kassen bei Einführung der Bedarfsplanung gesetzlich verpflichtet, eine günstige Zusatzver- sicherung anzubieten (40 CHF monatlich), mittels derer die freie Arztwahl erkauft werden konnte (heute haben von den rund 39000 Versicherten ca. 9000 eine OKP-plus). Gleichzeitig wurden die Kassen verpflichtet, aus der OKP 50% der Kosten beizusteuern, wenn sich ein Versicherter ohne Zusatzversicherung bei einem Arzt ohne OKP-Vertrag behandeln liess. Zudem wurde das Überweisungsformular sehr frei gestaltet. Aus diesen Gründen konnte die ursprüngliche Absicht, den Zustrom aus dem EWR abzublocken, auch nicht erreicht werden. (Erst mit der KVG-Revision 2012 wurde festgelegt, dass die Kassen die 50% für Arztbesuche ausserhalb der OKP nicht mehr leisten müssen (ausserdem wurde die Zusatzversicherung – also Privat- versicherung – in die Grundversicherung integriert, die heutige OKPplus, mit dem Vorteil, dass auch Versicherte im Rentenalter diese Versicherung abschliessen können).
Zusätzlich mussten aufgrund es Notenwechsels aus dem Jahr 1939 den St.Galler Ärzten zusätzliche OKP-Verträge erteilt werden. Heute haben von den rund 110 praktisch tätigen Ärzten(gemäss Gesundheitsstatistik 2016 118 Ärzte inklusive Landesspital) im Land ca. 60-65 einen OKP Vertrag und ebenfalls rund 20 Ärzte aus dem benachbarten Kanton SG. Damit ist die Aufhebung der freien Arztwahl für den Patienten in den letzten Jahren erst richtig fühlbar geworden (heute gibt es bereits mehr Mitglieder der Ärztekammer ohne OKP-Vertrag als mit).